In Souveränität
ABSTRACT
The author of Matthew offers a well constructed parable based on social realities that existed in first-century agricultural Palestine that also reflected Hellenistic-Roman practices. These practices are explained in detail as far as they are related to the parable. Basing the arguments on accepted theories of parable interpretation it is illustrated how a definite but surprising picture of God is presented. The context was most probably Jews who was pondering about the absence of God in the realities of this world. However, Jesus provides an answer, showing the active presence of God even among the poor. The unmeasured grace of God is shown to everybody – nobody should feel jealous about that, but should rejoice.
ABSTRACT
Die outeur van Matteus bied 'n goed gekonstrueerde gelykenis aan wat gebaseer is op die sosiale realiteit van die eerste eeu se landboupraktyke in Palestina en in die destydse Hellenisties-Romeinse omgewing. Hierdie landboupraktyke word in detail uitgelê in soverre dit met die gelykenis verband hou. Deur van aanvaarde gelykenisteorieë gebruik te maak word geïllustreer hoe 'n duidelike maar tog verrassende beeld van God geskets word. Die gelykenis speel waarskynlik 'n konteks af waar Jode gewonder het oor die afwesigheid van God in hierdie wêreld. Tog bied Jesus die antwoord deur die aktiwiteit van God, selfs onder die armes te onderstreep. Die onmeetlike genade van God word aan almal betoon – niemand behoort daaroor jaloers te voel nie, maar moet liewer daaroor bly wees.
1. VERARBEITETE GOTTESERFAHRUNG IN MT 20,1-16
Synoptische Gleichnisse werden in der Auslegungstradition zumeist auf den historischen Jesus zurückgeführt. Doch hier beginnen schon die Probleme. Man weiß so wenig Gesichertes über ihn,2 dass die Situationen, in der sie erzählt wurden, nur unzureichend beschrieben werden können. Größtenteils wird - häufig von einem letzten Restbestand eines unreflektierten Jesusbildes geleitet - angenommen, Jesus habe seine theologischen, in metaphorische Rede gekleideten Argumente gegenüber seinen zeitgenössischen Gegnern geäußert.3 Sie aber wären mehr oder minder unverhohlen seinen Behauptungen gegenüber skeptisch geblieben. Dabei wird unterstellt, dass er die Sache, die er vielleicht sogar für sich selbst überraschend zu vertreten hatte, nicht erst selbst ver- bzw. erarbeiten musste. Auch solche Umstände wären aber durchaus denkbar. Denn gerade die so elementare Verwendung von Metaphern4 in der Jesustradition weist auf Kommunikationssituationen hin, in denen Erfahrungsleerstellen im theologischen Lexikon geschlossen werden sollten. Dann wären aber keine apologetischen, sondern für tiefere Gesprächsinhalte offene Situationen anzuvisieren, in denen Jesus und seine heute anonymen Diskussionspartner gemeinsam um Probleme gerungen hätten, die für beide Seiten von existenzialer Bedeutung waren. Dies könnte auch - ganz nebenbei vermerkt - das Phänomen seiner unbestreitbaren Attraktivität bei großen Teilen seiner Zeitgenossen besser erklären.
Was könnte nun die Sache gewesen sein, die beide Seiten so ungemein beschäftigt hat? Beginnen wir unsere Spurensicherung mit einigen von fast allen Kritikern geteilten, historisch gesicherten Daten. Jesus hat sich - davon kann man fest ausgehen - von Johannes taufen lassen. Damit hat er dessen apokalyptisches Geschichts- und Weltbild akzeptiert (dazu ausführlich Becker 1972). Der bis auf den Grund korrupten Geschichte werde sehr bald schon von Gott her ein Ende gesetzt. Damit wären nicht nur die Nöte der Frommen in Israel behoben,5 sondern jeder, der sich taufen ließ, setzte ein Zeichen der Umkehr, als die letzte Chance, das Feuergericht Gottes bzw. seines Gesandten unversehrt durchzustehen. Deshalb lebte der Täufer in der Wüste, ernährte sich von Heuschrecken und trug nur ein einfaches Gewand. Jesus tritt uns aber später als jemand entgegen, der auf die Menschen zuging und sie nicht kommen ließ, sondern mit ihnen ausgiebig feierte, so dass er ein «Schlemmer und Säufer» genannt werden konnte (Lk 7,34par.). Diese Auffälligkeiten signalisieren eine weitere entscheidende Lebenswende Jesu, nach der er den Lauf der Geschichte nicht mehr so durch und durch negativ qualifiziert sah wie zuvor, als er noch ein Anhänger des Täufers war. Mit seiner visionären Erfahrung,6 in der er den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen sah (Lk 10,18), betrachtete er sich als ein Prophet, der seinen Landsleuten davon berichten musste, was im Himmel vorgefallen war. Gott habe erneut eine Heilsinitiative ergriffen, indem er die satanischen Mächte entscheidend geschwächt habe. Dies - so musste er folgern - gab den Menschen eine neue Heilschance. Gott selbst war aktiv geworden. Aber wie war das bei den in Palästina herrschenden sozialen und ökonomischen Konditionen denkbar?7
Mit dieser Frage musste sich nicht nur Jesus, sondern auch alle anderen auseinander setzen, die dem apokalyptischen Geschichtsbild des Täufers nahe gestanden hatten. Hinzu trat noch ein weiteres Problem. Indem Jesus Dämonen austrieb, trieb er sie nicht aus eigener Machtvollkommenheit aus, sondern Gott war dabei erkennbar tätig geworden (vgl. Lk 11,20par). Wie aber konnte man sich Gott in einer Welt wirksam vorstellen, die sich äußerlich eigentlich von dem in Nichts unterschied, was die Gerichtspredigt des Johannes zuvor veranlasst hatte, wenn jener sagte, «die Axt ist schon an die Wurzeln der Bäume gelegt» (Lk 3,9par.)? Diese beiden zentralen Fragen weisen m. E. auf das Gesprächsumfeld hin, wo auch unser Text in seiner ursprünglichen Fassung verankert war.
II
Obwohl unsere Geschichte erkennbar vom Großevangelisten Matthäus bearbeitet wurde, ist diese literargeschichtliche Arbeit bislang nie konsequent zum Abschluss gebracht worden. Dies ist aber zwingend geboten, um der leider immer noch provozierenden Erkenntnis J. Wellhausens (1911:102, vgl. auch 104, 153, 156) gerecht zu werden: «Das Evangelium deckt sich mit dem Christentum. Jesus war kein Christ, sondern Jude.» Gerade das Letztere interessiert uns hier. Matthäus könnte einige in der ursprünglichen Geschichte impliziten Gesichtspunkte so verstärkt haben, dass sie insgesamt besser mit seiner eigenen, im Kontext angelegten, übergreifenden Aussageintention8 harmonierten.
Seit langem ist die sekundäre Rahmung der Erzählung Mt 19,30 und 20,16 erkannt, und der begründende Anschluss in Mt 20,1 mit «denn» und das folgernde «so» in Mt 20,16 offenbaren die redaktionelle Absicht, das Gleichnis in eine Komposition mit gemeindespezifischer Thematik einzugliedern, eine Technik, die er auch anderenorts erkennbar beherrscht (vgl. Mt 18,12-14.23-25). Gleichfalls sind sogenannte «gnomische Leitsätze» am Ende von Gleichnissen bei ihm nicht untypisch (vgl. Mt 18,14.35; 22,14; 25,13). Beide sollen wohl zusammen mit einer überarbeiteten Gleichniseinleitung dem Leser seines Evangeliums helfen, seinen spezifischen Gedankengang besser verfolgen zu können. Folglich ist auch die Gleichniseinleitung sekundär, weil sie die nur auf einen Akteur zentrierte Erzählung sperrig zu einem Vorgang macht, der mit dem Himmelreich verglichen werden soll.9 Charakteristisch für ihn ist auch, wenn er schon zu Beginn der Geschichte dessen Hauptakteur als «Hausherrn» bezeichnet (vgl. Mt 10,25; 13,27.52; 21.33),10 analog zu anderen Stellen, wo er z. B. die allgemeine Bezeichnung «irgendein Mann» in der Q-Vorlage zu einem «König» (vgl. Mt 22,2par) hochstilisiert.
Diese Beobachtungen waren bislang bekannt. Hingegen hat man sich gescheut, die auffällige Wiederholung in irgendeiner Form von «Ersten und Letzten» in den V. 8.10.12.14 und 16 zum Großteil dem Redaktor zuzuschreiben, obwohl er mit dieser Akzentuierung seine spezifische Erzählabsicht auch innerhalb der Geschichte weiter unterstreicht Wenn man zu einer radikalen Eliminierung aller dieser Einschübe nicht bereit ist, dann sollte man nur an der pointierten Aufforderung in V. 8, den Tagelöhnern ihren Lohn in einer spezifischen Reihenfolge auszuzahlen, festhalten. Denn sie ist kunstvoll in die Stilform einer Ellipse gekleidet (so schon McNeile 1928:284), die man sonst nicht bei Mt, sondern nur bei Lk findet. Außerdem begründet dieser Zusatz für den Zuhörer bzw. Leser das Aufgebrachtsein der Ganztagsarbeiter, die als letzte in der Reihe mit ansehen konnten,11 wie die Kurzarbeiter ebenfalls einen Denar erhielten. Ebenfalls ist ihm die überproportionale endzeitliche Entlohnung für unbedeutend erscheinende Dienste in dieser Weltzeit ein wichtiges Thema (vgl. Mt 5,12.46; 6,1-18; 10,41 f; 25,31-46. So mit Recht Luz 1993:73). Alle weiteren Hinweise auf die «Ersten» bzw. «die Letzten» sind für die Erzähllogik der ursprünglichen Geschichte unwichtig, für die mt. Redaktionsintention hingegen zentral. Hat man nun diese aus dem vorgegebenen Text gelöscht, dann stößt man bei der nun klarer erkennbaren Vorlage auf eine formale Aporie. Der Rest von V. 14, die Aufforderung nämlich an einen der Arbeiter, den ihm zukommenden Lohn zu nehmen und zu gehen, unterbricht störend die kunstvoll an den Schluss gestellten Fragen. Mit ihrer Umstellung, an das Textende werden nicht nur die drei rhetorischen Fragesätze wieder zusammengebunden und der Geschichte ihr abrundender Erzählschluss wiedergegeben, sondern zusätzlich wird eine dem Urtext eigene, stilistische Kunstform offen gelegt, die dieses Gleichnis von anderen abhebt: nämlich die entscheidende Aussage zu fokussieren.12 Indem nämlich nur einer von den murrenden Tagelöhnern überraschend vom Gutsbesitzer in ein Gespräch verwickelt wird, wird literarisch das Aussageziel der Geschichte für den Zuhörer klar markiert: Er soll sich der in diese Fragen gekleideten problematischen Auskunft stellen. Zugleich aber wird auch deutlich, dass die Aufforderung des Gutsbesitzers an den Angesprochenen «zu gehen», nicht negativ qualifizierend (so mit Recht Broer 1978:19), sondern textgemäß konstatierend gemeint ist. Demnach lautet die rekonstruierte «kleine Einheit»:13
«Gleich einem Mann, der in der Frühe ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere arbeitslos auf dem Markt stehen. Er sagte ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg; ich werde euch geben, was recht ist. Diese gingen hin. Wieder ging er um die sechste und neunte Stunde aus und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde ausging, fand er andere dastehen und sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag arbeitslos? Sie antworteten ihm: Uns hat niemand angeworben! Er darauf: Geht auch ihr in den Weinberg. Als es Abend geworden war, sagte der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Rufe die Arbeiter und bezahle ihnen den Lohn - angefangen von den letzten bis zu den ersten! Da kamen die von der elften Stunde und erhielten je einen Denar. Als die ersten kamen, glaubten sie, sie würden mehr erhalten. Auch sie erhielten je einen Denar. Als sie ihn annahmen, murrten sie wider den Hausherrn und sagten: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und Sie haben sie uns, die wir die Last des Tages und Hitze getragen haben, gleich gehalten.Der aber antwortete einem von ihnen: Freund, ich tue dir kein Unrecht. Hast du dich nicht auf einen Denar mit mir geeinigt? Steht es mir nicht frei, mit meinem Eigentum zu tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin? Nimm das Deine und geh!»
III
Nach der Vorgabe von A. Jülicher und J. Jeremias wird das im Gleichnis Geschilderte zumeist als «mitten aus dem Leben» gegriffen betrachtet (Jülicher 1976:66; Jeremias 1965:138). Zwar kann man den mitgeteilten sozialgeschichtlichen Details durchaus Realitätsnähe bescheinigen, doch erheben sich andererseits berechtigte Zweifel an der Erzählhandlung, wenn man das Verhalten des Hauptakteurs unter ökonomischem Gesichtspunkt bewertet. Es ist zwar nicht die vorrangige Aufgabe von Literatur, eine Wirklichkeit quasi wie auf einer Fotografie abzubilden, noch ist die antike Ökonomie14 mit der modernen einfach vergleichbar. Vielmehr geht es in einer um Verstehen bemühten Kommunikation darum, den Zuhörer mit all seinen Erfahrungen und seinem Wissen an dem erzählten Geschehen zu beteiligen und so zu involvieren. Dazu gehört auch, dessen Vorstellungskraft und Fantasie anzuregen, indem man die Handlung auch in einer ihm vertrauten Lebenswelt spielen lässt, über die er sich ein Urteil erlauben kann. Gerade darauf kommt es in dieser Geschichte entscheidend an.
Der Erzähler entwirft mit geschickt eingestreuten Angaben die Skizze einer Lebenswelt, die der palästinensischen wie auch der römischhellenistischen Agrarkultur entspricht. Der Angabe, ein Mann habe mehrfach Arbeiter auf dem «Markt» gedungen, kann man einmal entnehmen, dass er wohl auch in dieser Stadt wohnte,15 da bekanntlich städtebaulich nur sie eine Agora besaß. Das entspricht auch dem archäologischen Befund für Jerusalem,16 wo bislang keine sogenannten «Villen» außerhalb der Stadt ausgegraben wurde, wie dies z. B. in Pompeji der Fall ist (Vgl. Etienne 1974:184-189; Day 1932:166-208). Andererseits wird in der Geschichte auch eine hohe Arbeitslosigkeit vorausgesetzt. Darauf weist ebenfalls die Auswertung archäologischer Felduntersuchungen hin, die einstimmig für das erste Jahrhundert eine sehr hohe Bevölkerungsdichte in Palästina prognostizieren.17 Auch war Geburtenkontrolle gemäß der Tora unerlaubt (vgl. Jos., Ap. 2 § 202; ant. 18 § 274, mit Tac., hist 5,5,3, und Gen 9,1). So hatte ein verarmter Bauer bzw. jüngere Söhne von Landbesitzern eigentlich nur drei Möglichkeiten, der Verelendung zu entgehen: entweder man wanderte aus, oder man verdingte sich in einer nahen Stadt der Dekapolis mit ihrem größeren Arbeitsmarkt oder ging unter die Räuber. Zu allem liefert Lukas gutes Anschauungsmaterial.18
Außerdem braucht ein Weinberg bekanntlich viel Pflege und bietet somit entsprechend viele Arbeitsmöglichkeiten (siehe u.a. wiederum Etienne 1974:197-199; Day 1932:171f.). Ein Register, was an Arbeit alles im Laufe eines Jahres an Arbeit anfallen konnte, findet man u. a. im Midrasch Wajikra Rabba 36.19 Normalerweise wurde jegliche Arbeit - wie man u. a. aus der Schrift von Columella (rer. rust. 2,2.12; 3.21.9f.; vgl. Cato, rer. rust. 11,1-5; 23,1-4) entnehmen kann - von Sklaven erbracht. Nur ganz spezifische Tätigkeiten, wie z. B. Entsteinen des Bodens bei einer Neuanlage bzw. Erweiterung eines Weinberges und noch häufiger bei der Weinlese, mussten mit zusätzlichen Arbeitskräften ausgeführt werden, weil dies die Sklaven allein nicht leisten konnten.
Der hier vorausgesetzte Weinberg, dessen Bewirtschaftung aktuell so viele Kräfte benötigte, lag selbstverständlich außerhalb der Stadt. Dort hat ein Verwalter (V. 8) stellvertretend für den Besitzer das Sagen. Dieser war in der Antike zumeist ein vertrauenswürdiger, älterer Sklave, und dessen Rechte und Pflichten sind nicht nur, aber ausgezeichnet bei Cato (rer. rust. 5,1-7) beschrieben. Auch die Lohnabsprache mit den frühmorgens für einen Zwölf-Stunden-Arbeitstag angeheuerten Zusatzkräften entsprach dem damaligen jüdischen Tarifniveau (vgl. Tob 5,15; BerR 61). Denn in Rom wurden zu der Zeit nur etwa drei Sesterzen, also nur dreiviertel des hier vereinbarten Lohns von einem Denar, gezahlt, und zwar nur in der Stadt selbst; die Entlohnung in der römischen Landwirtschaft war also vermutlich niedriger.20
Ebenfalls vertraut musste einem damaligen Zuhörer der Hinweis in V. 15 sein, wenn dort vom sogenannten «bösen Blick» gesprochen wird.21 Dieser Volksglaube war ja nicht nur den Juden aus der Bibel, sondern bis auf den heutigen Tag allen Bewohnern des Mittelmeerbeckens (vgl. Plutarch, moralia 680c-683b) bekannt. Der eine Sozietät und die betreffende Person selbst zerstörende Neid, der aus dem «bösen Blick» spricht, hat auch die Aussprüche in Sir 31,13 veranlasst: «Wenn du an der Tafel eines Großen sitzt, dann reiß dabei das Maul nicht auf. Sprich nicht: Überreichlich ist aufgetragen! Sei eingedenk, wie hässlich ein «böses Auge» ist. Ist etwas Schlimmeres als ein solches Auge geschaffen?» bzw. in Spr 28,22: «Nach Reichtum hastet jemand mit bösem Blick - und sieht nicht voraus, dass Mangel über ihn selbst kommt.» Dieses Motiv steht also häufig in Verbindung mit Reichtum anderer (vgl. Mt 6,19-34 par. Lk 11,33-36; PAbot 2,9.11; 5,13.19), der den zerstörerischen Neidkomplex auslöst. Damit ist die abschließende Warnung vor dem «bösen Auge» kontextgemäß, weil der Weinbergbesitzer ja aus seinem Vermögen gibt.
Soweit waren die Details wichtige Eckdaten für den Zuhörer, die Geschichte in seiner inneren Vorstellung als «erzählte Welt» lebendig und nachvollziehbar werden zu lassen. Dennoch widerstreiten seinem zustimmenden Urteil zwei für die Geschichte konstitutive Elemente. Schon das erste will sich seiner, wie auch immer gearteten, Erfahrung und hier vorausgesetzten Kompetenz auf dem agrarischen Sektor entziehen. Denn nicht nur Columella war der Weinbau als der gewinnträchtigste Teil der Landwirtschaft bekannt.22 Deshalb hat er ja auch eine längere «Erörterung darüber, dass dem Landwirt nichts mehr einbringt als die Unterhaltung von Weinpflanzungen» in sein Werk aufgenommen. Auch die Rabbinen wissen darum, wenn es im schon erwähnten Midrasch Wajikra Rabba 36 metaphorisch heißt, aus dem Weinstock gehe ein Zweig hervor, «welcher alle Bäume bezwingt».
Sie gehen wie die antiken lateinischen Agrarschriftsteller von der Kompetenz der Besitzer aus, dass diese wissen, welche Arbeit anhängig ist und wie viele Arbeiter man benötigt, um sie zu erledigen. Deshalb ist es nicht mit der Auskunft getan, die Erwähnung einer mehrfachen Anheuerung von Arbeitern sei allein eine rein literarische Erzählstrategie, die ursprünglich «doch wohl nur der Spannung des Zuhörers» diene; «er mag sich fragen, wie der lange Tag zu Ende gehen wird» (Fuchs 1966:415). Die Zuhörer Jesu waren nicht eben gebildete Literaten, die den geschickten Bau eines Spannungsbogens in einer Erzählung zu würdigen wussten, sondern vor allem stammten sie aus der Landbevölkerung Galiläas, die überwiegend vom Acker- und Weinbau lebten. Deshalb musste ein damaliger Zuhörer verunsichert sein und sich fragen, was dieses extravagante Verhalten des Mannes bedeuten solle. Denn wie der für diese Erzählung wichtige rabbinische Text PT Berachot 2,5c belegen kann,23 ging man davon aus, dass z. B. der Besitzer eines Feigenbaumes den Zeitpunkt kannte, wann dessen Früchte nacheinander abgeerntet werden mussten.24 Ein damaliger Zuhörer war also hin- und hergerissen zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder wurde ihm der aufkeimende Verdacht bestätigt, dieser Mann sei gewiss inkompetent, oder für dessen extravagantes Verhalten gäbe es noch eine überraschend andere Lösung. Eine erste, noch vage Antwort auf diesen Zwiespalt wird andeutungsweise mit dem Hinweis auf die Übernahme auch der letzten auf dem Markt befindlichen Arbeitssuchenden in ein Arbeitsverhältnis gegeben. Jedoch erst mit der erzählerisch überraschenden Einführung eines Verwalters in die Erzählhandlung wird die endgültige Klarstellung eingeleitet. Der nagende Verdacht, der Mann sei möglicherweise inkompetent, wird vom Erzähler damit durchkreuzt, dass er mit der Erwähnung des Verwalters den hohen sozialen Status des Hauptakteurs unterstreicht. Der Mann war also gar kein den wahren Bedarf an Arbeitskräften falsch einschätzender «Hobbygärtner», der nur ein paar Rebstöcke besaß, sondern der Besitzer eines professionellen Betriebs. Deshalb wird er wohl auch in der ursprünglichen Fassung erst jetzt mit «Herr» bzw. «Hausbesitzer» tituliert.25 Der Mann, dem man anfangs verdachtsweise Inkompetenz unterstellen konnte, gewinnt in den Augen des Zuhörers damit die Souveränität, die er benötigt, um das berechtigte Murren als eine durchaus menschliche Reaktion, die ja auch die rabbinische Parallele im PT Berachot 2,5c erwähnt, kontern zu können. Dies geschieht - wie schon gesagt - literarisch gekonnt zum Schluss im Dialog mit einem der unzufriedenen Ganztagsarbeiter. Ihm wird gesagt, dass doch der Arbeitsvertrag mit ihm eingehalten wurde. Wenn der Herr aus seinem Besitz den anderen aus freien Stücken den gleichen Lohn zahle, so geschehe dies nicht zu seinen, sondern vielmehr zu Lasten des reichen Gutsbesitzers. Er solle sich davor hüten, mit «dem bösen Blick» des Neides das für alle Betroffenen günstige und für ihn arbeitsrechtlich korrekte Ende des Tages zu gefährden.
IV
Jetzt erst nach der Erschließung des im Text konstruierten Ausschnittes einer palästinensischen Lebenswelt und der darin bewusst eingebauten Ungereimtheiten, die erst zum Schluss aufgelöst werden, kann zu den beiden Ausgangsfragen in der Gewissheit, sie annähernd beantworten zu können, zurückgekehrt werden. Ausgegangen wurde von der apokalyptischen Vorgeschichte in der Biografie Jesu. Angesichts großer Hoffnungslosigkeit aufgrund von Arbeitslosigkeit, die Menschen zwang, sich zu verdingen, nur für einen Tag Gewissheit zu haben, die Familie ernähren zu können, angesichts ungerechter Verteilung des von Gott allen Israelis zur Bebauung gegebenen Landes (vgl. Gil 1970:11-53; Herz 1928:98-113) - man könnte diese Mängelliste um andere, in unserer Geschichte nicht erwähnte Defizite noch verlängern -, war unter den Frommen in Israel die existenzielle Frage aufgebrochen, ob Gott nicht in einer solchen Welt abwesend sei und erst am Ende der Tage wiederkäme, um über sie sein furchtbares Gericht zu halten (vgl. zu dieser Problematik vor allem Brandenburger 1981). Das von den apokalyptischen Weisen, wie Johannes z. B., an ihre Anhänger vermittelte Wissen von der Nähe des Gerichtstages war ihnen trostvoller Zuspruch:26 die Tage seien gezählt, die momentane Abwesenheit Gottes würde bald beendet sein, wenn er seine Herrschaft endgültig aufrichte. Jesus war in seinem visionären Widerfahrnis jedoch eines anderen belehrt worden. Als er mit seinen Exorzismen die Verlässlichkeit der Vision testete, erwies sie sich für ihn als tragfähig. Aber wie sollte er seine Landsleute überzeugen, dass Gott jetzt schon heilend wirkte?
Die ursprüngliche Erzählung hat keinen Vergleichspunkt. Die präzise Thematik der Diskussion ist im Überlieferungsprozess verschollen. Sie muss nun aus der Erzählung selbst hypothetisch erschlossen werden. Da nur ein Akteur ihre Handlung beherrscht und mit seinem auffälligen Verhalten kein alltäglicher Vorfall geschildert werden soll, wird die Geschichte mit anderen vergleichbar, die schon lange als Parabeln erkannt sind. Parabeln Jesu aber - so kann man vereinfachend sagen - sprechen von Gott in der Weise, wie er in Welt und Geschichte vielleicht wirksam erfahren und gedacht werden kann. Jesus sensibilisiert mit ihnen seine Zuhörer für eine Möglichkeit, den Heiligen doch noch in seiner ihm entfremdeten Schöpfung aktiv zu sehen. Es gibt seiner Meinung nach noch eine Alternative, dass Gott eben auch auf paradoxe Weise die als negativ erfahrenen Lebensumstände punktuell durchbrechen könne. Ein solcher Gedankengang aber ist für damals nicht unbedingt originell, sondern in der Glaubenstradition Israels verankert. Der abschließende Tadel des paradox handelnden und zugleich anstößig freigiebigen Gutsherrn, mit dem «bösen Blick» doch nicht den guten Ausgang einer nach menschlichem Gerechtigkeitssinn vielleicht verfehlten Freizügigkeit zu bedrohen, erinnert u. a. an die von Gott geforderte und nun von ihm selbst geübte Güte den Armen im Lande gegenüber, wie sie u.a. Dtn 15,7-11 ausgesprochen wird: «Gib acht, dass du in deinem Innern nicht den nichtswürdigen Gedanken aufkommen lässt: das siebte Jahr, das Erlassjahr, steht bevor! und dass du deshalb deinen armen Landsleuten mit dem «bösen Blick kommst und ihnen nichts gibst ... Darum gebiete ich, Jahwe, dein Gott, hiermit: Tu auf deine Hand deinem Bruder, dem Notleidenden und Armen in deinem Lande.» Nach der langen, zumeist negativen Erfahrung mit den Reichen im Lande stellt Jesus mit therapeutischer Absicht in dieser Geschichte klar: es besteht - wenn es auch paradox scheinen mag -eine reale Möglichkeit, dass so gehandelt werden kann, wie es der auf den ersten Blick inkompetent erscheinende Weingutbesitzer in der Geschichte tut, dessen extravagante Handlungsweise ja von seiner Frei-giebigkeit und Güte zeugt. Wenn die Landsleute sehen, wie Jesus den Armen, den Besessenen und Kranken hilft, ist nicht er, sondern Gott -er kann es nicht anders formulieren - paradoxerweise durch ihn wirksam. Hier bestätigt sich wieder das berühmte Wort von R. Otto: «Nicht Jesus ‚bringt’ das Reich - ... - sondern das Reich bringt ihn mit.» (Otto 1934:80). Es geht Jesus also in dieser Parabel um ein für ihn zentrales Argument: Der Gott Israels, der schon öfters in der Geschichte seines Volkes bewiesen hat, dass er zu seinen gütigen Zusagen steht, der handelt auch in der Gegenwart. Man soll sich der so unbegreiflichen Freigiebigkeit Gottes deshalb nicht aus vordergründigem Neid in den Weg stellen, sondern sich eher mit denen freuen, die auf solche Weise bedacht worden sind (vgl. Lk 15,3-7.31f.). Die Güte Gottes ist die theologische Voraussetzung, um seine Gegenwart unter den aktuell erfahrenen Konditionen annehmen zu können. Paradoxalität ist so gesehen ein Grundaxiom jesuanischer Theologie (dazu schon früher: Busse 1987:166-175). Es wird ihm damit möglich, den Souverän, Gott, in der Welt mit ihren allzu bekannten Schattenseiten wirksam zu denken. Bei Gott sind eben Dinge möglich, die für Menschen schwer denkbar sind (Mt 19,26).
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KEY WORDS
Parables, Matthew, Image of God, Grace, Ancient farming
TREFWOORDE
Gelykenisse, Gleichnisse, Matteus, Matthäus, Godsbeeld, Gottesbild, Genade, Gnade, Antieke boerdery, Antieke Landwirdschaft
CONTACT DETAILS
1 Research Associate: Department of New Testament University of Pretoria. Paper read during 2007 research visit to the Department of New Testament Studies, University of Pretoria.
2 Es werden die neueren methodologischen Überlegungen zur Rückfrage nach dem historischen Jesus seit den bahnbrechenden Arbeiten von Käsemann (1965:187-214); Hahn (1974:11-77), vorausgesetzt.
3 So vor allem Jeremias (1965:33-39); Linnemann (1964:27-49). Nach Schnider (1981:94) ist das Gleichnis an solche gerichtet, «die an Jesu Umgang mit den Sündern Anstoß nehmen», d. h. also wohl an die Pharisäer. Ähnlich argumentieren Dietzfelbinger (1983:133) und Haubeck (1980:95-107). Diese allzu globale These lässt Hoppe (1984:17f.) mit Recht nur mit Einschränkung gelten. Zudem ist diese Argumentationskette ein typisches Beispiel für eine methodische Engführung, die aus einem, wenn auch nicht unbedeutenden Aspekt auf die mögliche Redesituation zurückschließen will. Seit langem aber ist bekannt, dass die gesamte Erzählung mit all ihren Facetten mit dem in Beziehung gesetzt werden soll, was in der Diskussion unklar bzw. schwierig zu vermitteln ist, so dass auf kollektive Erfahrungsreserven und deren hermeneutisches Potenzial zurückgegriffen werden muss.
4 Die Gleichnisse Jesu als Metaphern zu betrachten und dementsprechend auszulegen, wurde von Weder (1978:218-230) begonnen und auch auf dieses Gleichnis ausgedehnt. Die Arbeit von Harnisch (1985:177-200) zielt in die gleiche Richtung, obwohl die richtungsweisenden hermeneutischen Vorarbeiten von E. Fuchs, dem großen Anreger der modernen Gleichnisexegese, bei ihm deutlicher spürbar sind
5 Ich folge in der Einschätzung der frühjüdischen Apokalyptik der Arbeit von Müller (1991:35-173) der sie nicht wie die ältere Forschung als minderwertige Weltuntergangsberechnungen bzw. -phantasien, sondern als «Trostliteratur» qualifiziert.
6 Vgl. dazu den bahnbrechenden Beitrag von Müller (1977:416-448) der viel Zustimmung gefunden hat.
7 Kühnen (1987:74f.) charakterisiert mit Bezug auf die maßgeblichen Arbeiten von Rostovzeff, Heichelheim und Hengel die Situation als eine kritische Gemengelage von traditionalistischem Kleinbauerntum und hellenisierten Großgrundbesitzern, wenn er wie folgt schreibt: «Im agrarischen Sektor versuchten die hellenistischen Modernisierer, anstelle der alten kleinbäuerlichen Gemischtwirtschaften größere Betriebe ein zuführen, die im Anbau auf besonders gewinnträchtige Produkte spezialisiert waren, vor allem Getreide, Oliven und Wein.» Wie weit diese Entwicklung schon fortgeschritten war, zeigt unser Gleichnis, das die ökonomischen Grundvoraussetzungen nicht mehr in Zweifel zu ziehen scheint. Ähnlich beschreibt neuerdings Miliar (1993: 337-366) die Situation.
8 In letzter Zeit haben dies u. a. Luz (1993:73, 125-127); Roloff (1992:337-356, 340-344); Schenke (1988:245-268); Nützel (1991:267-284, 280-284); Fuchs (1966:410-433,415-417) im Detail nachweisen können.
9 Diese Beobachtung widerspricht der These von Schmeller (1994:599-608, 606f.) der m. E. die Ursprungsgeschichte vorschnell zu einem Reich-Gottes-Gleichnis macht bzw. die matthäische Endfassung als original einstuft.
10 Nur Mt 24,43, wo ebenfalls ein «Hausherr» erwähnt wird, stammt aus Q. Alle weiteren, oben zitierten Erwähnungen sind erkennbar von Mt selbst eingefügt worden. So schon u. a. Klauck (1986:291).
11 Vgl. Schmid (1959:285); nach Jos., ant 20 § 220, bekommt jeder für seine Arbeit gemäß Dtn 24,15 (vgl. BT Baba Mezia 111a) abends seinen ihm zustehenden Lohn, auch wenn er nur eine Stunde gearbeitet hat. Der Streitpunkt ist also die gleiche Entlohnung für ungleiche Arbeitsleistung. Die Reaktion darauf ist zu der im Maschal PT Ber 2,5c analog, also wohl durchaus typisch und angemessen. Deshalb liegt auch die Rechtfertigungspflicht auf Seiten des Weingutbesitzers. Sie wird deshalb mit Hilfe der Fokussierung hervorgehoben.
12 Die literaturwissenschaftlichen Grundlagen zu dieser Erzähltechnik findet man gut zusammengefasst bei Tolmie (1991:273-287).
13 Vgl. mit dieser Version die Rekonstruktion von Weder (1978:220-223). M.E. ist sie in sich geschlossener und entspricht so den von W. Richter definierten Kriterien der «kleinen Einheit» besser.
14 Diesen Punkt hat Mickwitz (1937:577-589) klar herausgearbeitet.
15 Vgl. dazu die berechtigte Korrektur an der mehrheitlichen Sichtweise der Exegeten von Edwards (1988:169-182).
16 Beachte neuerdings das außergewöhnlich informative und detaillierte Werk von Safrai (1994). Es gibt auf S. 82-99 einen Überblick über diese hellenistisch-römische Siedlungsform in Palästina. Diese vorzügliche Arbeit wird sicherlich die häufig einseitigen sozialgeschichtlichen Auskünfte bei G. Dalman und J. Jeremias korrigieren können und tritt damit die Nachfolge der Arbeiten von S. Krauss an, ohne diese verdrängen zu wollen. Intensiv hat sich auch Applebaum (1989:124-131) mit dem Problem auseinander gesetzt. Er sieht diese Siedlungsform sich erst in der Zeit nach dem Bar-Kochba-Aufstand durchsetzen.
17 Vgl. die Überlegungen und Berechnungen bei Safrai (1994:436-450).
18 Vgl. Lk 10,30; 15,11 ff. Diesen Befund bestätigt auch Goodman (1987:62-64). Auch Schottroff (1979:71-93) stützt ihre Exegese vor allem auf sozialgeschichtliche Daten. Es bleibt jedoch in einem jüdischen Kontext die Frage, ob die Aussage von der Güte Gottes das Ziel des Gleichnisses adäquat widerspiegelt oder zur gemeinsam geteilten Gesprächsvoraussetzung gehörte, die es dem Zuhörer erleichtern konnte, der Antwort Jesu auf die Theodizeefrage nach der An- bzw. Abwesenheit Gottes im Weltgeschehen zustimmen zu können.
19 Dieser Text ist nicht nur für die damalige agrarische Wirklichkeit auswertbar, sondern auch für das matthäische Verständnis seiner Vorlage. Mt nämlich erkannte in dem Urtext eine gemeindespezifische Tendenz, die es für die eigene Erzählintention allegorisch zu nutzen gelte. Im Midrasch wird ein analoger Trend erkennbar. Bei der Auslegung einer wichtigen bundestheologischen Belegstelle wird Ps 80,9 zur Verdeutlichung herangezogen, die Israel mit einem Weinstock vergleicht. Diese - oberflächlich betrachtet – interpretatorische Willkür gewinnt ihren Sinn jedoch, wenn man in Rechnung stellt, daß das Wortfeld «Wein - Weinberg» in der biblischen Tradition zumeist mit der Vorstellung von Israel als Bundesvolk verknüpft ist (vgl. u. a. Mk 12,1-12) und so eine soziale Dimension gewinnt (vgl. Joh 15,1ff.). Vgl. noch Döller (1923:143-167, 267-299).
20 So Kloft (1984:201). Dieser Unterschied in der Entlohnung könnte auch mit der aktiv geübten Zedekah [Barmherzigkeit] zusammenhängen, wenn der Weingutbesitzer ein Jude gewesen sein sollte.
21 Vgl. zu diesem häufig vernachlässigten Aspekt der Geschichte die Analyse von Elliott (1992:52-65).
22 Columella, rer. rust. 3.1-15; Etienne (1974:141-144.219f.); Safrai (1994:126-136); Feldman (1927:125-149).
23 Fiedler (1976:176) korrigierte endlich das abwertende Urteil über diesen Text, das von Jeremias (1965:138) geäußert wurde.
24 Der in deutscher Übersetzung von C. Horowitz seit 1975 vorliegende Text für diesen Aspekt lautet: «Als später die Sonne auf den Baum schien, wurden die Feigen wurmstichig. Sodann sagten sie (die Gelehrten): Der Besitzer des Feigenbaumes weiß, wann es Zeit ist, die Feigen zu pflücken, und er pflückt sie (zur richtigen Zeit).»
25 Die Titulierung «Hausbesitzer» könnte an dieser Stelle ebenfalls von MtR eingefügt sein. Sie könnte aber auch in seiner Vorlage bereits gestanden haben. Dies hätte dann den Redaktor veranlasst, sie nach Mt 20,1 vorzuziehen. Welche Entscheidung man auch fällt, sie beeinträchtigt die hier vorgetragene Auslegung nicht.
26 Neben den schon erwähnten Arbeiten von Müller und Brandenburger sei u. a. auch auf die exzellenten Beiträge in Collins (1979:1-220) hingewiesen.